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Der frühe Vogel macht den Kees

Wer so einen b’sundrigen Käse machen will wie den Montafoner Sura Kees, der muss schon ziemlich früh aufstehen. Und wer einmal aus nächster Nähe mit dabei sein will auch. Wir waren zu Besuch auf der Alpe Tilisuna, um dem Team dort beim Käsemachen über die Schulter zu schauen.



Wahrscheinlich liegt es am Mate-Tee. Die Tageszeit jedenfalls kann es nicht sein, die die fünf Brasilianerinnen und Brasilianer, die zusammen die Alpe Tilisuna bewirtschaften, so putzmunter wirken lässt. Während wir um vier Uhr morgens noch ernsthaft damit beschäftigt sind, unsere Augen offen zu halten, widmen sie sich schon in aller Ruhe ihren Aufgaben: nämlich die 83 Kühe zu versorgen, die hier den Sommer verbringen, und aus der anfallenden Milch den traditionellen Sura Kees herzustellen. Nach einem kräftigen Schluck Mate aus der Kalebasse heizt Senn Blinio, den alle nur Pedro nennen, den Ofen ein. Während das Feuer den Sennkessel auf Temperatur bringt, klopft er den frischen Käse vom Vortag aus den Formen und beginnt, die Laibe mit einer Salz-Paprika-Mischung einzureiben. Seine Frau Rosalie hilft ihm dabei und schlichtet die fertigen Laibe sorgfältig in die Regale im Kühlraum. Später wird Alpmeister Werner Dobler, wie jeden Tag, den bestellten Käse abholen und auch zu Sutterlüty bringen – ein Moment, auf den sich alle freuen. Denn Werner hat nicht nur immer einen Witz auf Lager, sondern versorgt sein Team auch mit frischem Brot, Gemüse oder was sonst gerade so gebraucht wird.



Aufstehen, Mädels!


Aber jetzt um halb fünf heißt es erstmal für die Kühe im Stall: „Aufstehen, Mädels.“ Die meisten liegen, manche schlafen sogar noch. Doch der Zeitplan steht, schließlich sollen die Damen ja ihre Sommerfrische auf der Almwiese und nicht im Stall verbringen. Doch vorher müssen sie gemolken werden. Hirte Anderson und seine Frau Marisa fangen auf der einen Seite des Stalles an zu melken, Hirte Delcio auf der anderen. Als es wie in Zeitlupe anfängt zu dämmern, werden auch wir langsam munter und kommen mit Anderson ins Gespräch. Wie es denn einen Brasilianer auf eine Alpe im Montafon verschlägt, ist vielleicht nicht gerade die intelligenteste Frage, aber um diese Zeit möge uns das verziehen sein. Immerhin erfahren wir so, dass Andersons Vorfahren aus Norddeutschland stammen, was auch der Grund ist, warum er so gut Deutsch spricht. Auch dass das hier nicht sein erster Alpsommer im Montafon ist, verrät uns der gelernte Landwirt. Er war schon in St. Gallenkirch, und jetzt ist er zusammen mit den anderen das zweite Mal hier auf der Tilisuna-Alpe. Dieses Mal sind auch seine Frau und ihr gemeinsamer Sohn Lukas dabei. Genau wie Senn Pedro, der ebenfalls Frau und Kinder mitgebracht hat, fällt es auch ihm leichter, den brasilianischen Winter so weit weg von zu Hause zu verbringen, wenn seine Familie bei ihm ist. Doch viel Zeit für Heimweh hätte er ohnehin nicht, denn hier gibt es einiges zu tun. Sobald die ersten Kannen mit Milch gefüllt sind, kommt Rosalie mit einer Schubkarre und bringt die noch kuhwarme Milch zu einer Pumpe, mit der sie in einen Kühltank gepumpt wird. „Wird denn daraus nicht gleich Käse gemacht?“, fragen wir mit Händen und Füßen, denn die sympathische junge Frau spricht nur Portugiesisch. „Nein“, schüttelt sie den Kopf, „erst morgen.“ Ihr Mann Pedro, der wie die beiden Hirten sehr gut Deutsch spricht, erklärt uns, warum: Von der frischen Milch werde noch der Rahm abgeschöpft. Nach ca. 18 Stunden erst wird die so entstandene Magermilch mit Lab zum Eindicken gebracht, so wie jetzt im Moment gerade die Milch vom Vortag. Aus dieser hat sich im Kupferkessel bereits schneeweißer Käsebruch gebildet, der ein bisschen nach warmem Topfenstrudel duftet.







Erfahrung und Augenmaß


Auf die Frage, was für eine Temperatur denn die Masse habe, hält Pedro kurz die Hand in den Kessel und sagt: „38 Grad. Vielleicht ein bisschen mehr.“ Über 23 Jahre Erfahrung machen jedes Thermometer überflüssig. Wie in einer einstudierten Choreografie lässt das Paar die Käseflocken in der Molke schweben: Pedro an der Harfe und Rosalie an der Schöpfkelle. Wenn der richtige Moment gekommen ist, wird der Käsebruch in die gelöcherten Kunststoffformen geschöpft, immer mit einem kleinen Gupfel drauf. „Der setzt sich noch, wenn die Molke abrinnt“, kommentiert Pedro. Auch hier kann sich der erfahrene Senn auf sein Augenmaß verlassen. Am Ende ist jeder Laib ziemlich genau gleich schwer.



Die Molke bekommen die Schweine. Doch jetzt liegen die 24 Tiere noch dicht aneinandergekuschelt im Schweinestall hinter dem Haus und dösen vor sich hin. Die Kälber nebenan allerdings sind schon putzmunter, den Delico bringt gerade das Frühstück: Vier Liter frische Milch bekommt jedes der Kälber zweimal am Tag, dazu ein bisschen Heu. Hier auf der unteren Alpe müssen die Kälber noch im Stall bleiben. Aber schon in wenigen Tagen wird das Team samt Kindern, Kälbern und Schweinen bis Anfang September auf die obere Alpe weiterziehen, da dürfen dann auch die Kälber raus.


„Berta, Hopp!“


Apropos raus: Draußen tut sich was! Gerade noch rechtzeitig können wir uns von den gierig schmatzenden Kälbern losreißen, um zu sehen, wie die ersten Kühe sich auf den Weg zur Weide machen. Wie ein alter Älpler lehnt der kleine Lukas, der in der Zwischenzeit aufgestanden ist, am Viehgatter und schaut zu, wie Mama Marisa und Papa Anderson kurz vor sieben Uhr die Kühe aus dem Stall führen. Dabei läuft alles ganz ruhig ab. „Man darf die Kühe nicht hetzen“, raunt uns Anderson im Vorbeigehen zu. Also lassen Marisa und Anderson sie in ihrem Tempo dahintrotten und sorgen „nur“ dafür, dass keines der Tiere zurückbleibt oder schon auf dem Weg zu frühstücken beginnt. Doch auch dabei legen die beiden eine ganz schöne Strecke zurück. Hin und her, vor und zurück und sprichwörtlich über Stock und Stein geht es jeden Morgen bis zur Weide, die ein Stück über der Alphütte am Hang gegenüber liegt. Viel geredet wird dabei nicht, nur ein gelegentlicher Ruf Andersons, der ein bisschen klingt wie „Bertha, hopp!“, übertönt das laute Gebimmel der Kuhglocken und das Rauschen des Gebirgsbaches, durch den die Kühe gerade waten. Fast eine Stunde dauert der Auftrieb, bis die Kühe endlich dort sind, wo sie den Tag verbringen werden. Abends um fünf ungefähr werden sie wieder zurück in den Stall geholt. Dann werden die Tiere noch einmal gemolken, und auf der Alpe Tilisuna kehrt wieder Ruhe ein. Bis zum nächsten Morgen um vier Uhr, wenn der Wecker piepst und Rosalie kurz darauf den Mate-Tee aufgießt.




Aus: B’sundrig – das Sutterlüty Magazin, Nr. 77

Text: Carmen Jurkovic-Burtscher

Fotos: Christian Kerber

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